Allgemeines
Im Februar 1813, nach dem verlorenen Russlandfeldzug, wurde der sächsische General Freiherr August von Thielmann Kommandant der Festung Torgau. Es war ein den Befreiungskriegen und der „deutschen Sache“ zugeneigter Mann.
Aus dem französisch besetzten Wittenberg sandte die dortige Bürgerschaft einen Hilferuf. Dies geschah als „Offener Sendbrief der Stadt, Veste und Universität Wittenberg an den Königl.-Sächs. General Lieutenant von Thielmann zu Torgau“ (Auszug):
„Herr Nachbar da droben
(Wir wollen ihn loben)
Ach eil er zur Hilfe der Sächsischen Stadt!
Doch komm er geschwinde
Fürcht Er sich der Sünde:
Wir sind der Franzosen von Herzen längst satt!
Lass Er sich erflehen: Sein Torgau mag stehen,
Wer nähm ihm die Festung? Die
Feinde sind fort!
Hier giebt es zu schaffen:
Ergreif Er die Waffen
Und helf Er mächtig dem gängstigten Ort!
Er kennt ja die Plagen
Die itzt wir ertragen,
Ihm ist kein Geheimnis die
Vielfache Noth;
Die Russen zwar schonen,
(Gott woll’ihnen lohnen!)
Doch Todesfurcht gehen selbst über den Tod.
Nichts ist mehr zu kriegen,
Die Brunnen versiegen,
Wir schweben in täglicher Ungewissheit:
Drum brech’ Er die Ketten,
und eil Er zu retten;
ward ja doch Sein Dresden von D’avoust befreyt!
Um Ordre zu schreiben
Das lass’ Er itzt bleiben:
Zu helfen Bedrängten ist Ordre an sich.
Drum werf’ er die Franken:
Man wird es ihm danken
Gedenk’ Er an den seligen Luther
Und an Mich!
(L.S.) Gegeben
Kernberg, den 26. April 1813 Stadt und Universität Wittenberg“
Der Stadt Luthers konnte freilich nicht unmittelbar geholfen werden. Erst Anfang 1814 wurde Wittenberg von der französischen Besatzung befreit.
In Torgau selbst breitete sich unterdessen eine Typhus-Epidemie aus. Die eher kleine Festung war mit der Verlegung der französischen Lazarette hierher völlig überfordert. „Wie viele trauernde Witwen und hülflose Waisen mag Torgau wohl zählen?“ (Friedrich Joseph Grulich, 1814). Es starben in Torgau annähernd 30.000 Menschen, unter ihnen weit mehr als 1.000 Bürger der Stadt.
Nach dem Wiener Kongress (1815) gingen schließlich zwei Drittel des kursächsischen Territoriums an Preußen über. Torgau wurde plötzlich Grenzfestung gegenüber Sachsen und in der weiteren Entwicklung eine preußische Garnisons- und Beamtenstadt. Die in anderen Städten fortschreitende industrielle Entwicklung war in Torgau aufgrund der festungsbaulichen Einengung nicht möglich. Weil die Stadt aber ein geschlossener preußischer Befestigungskomplex war, ergab sich nun andererseits die Bewahrung der historischen innerstädtischen Bebauung. So ist die historische Altstadt heute noch in beeindruckender Weise erlebbar. Während der gesamten preußischen Festungszeit (1815-1889) wurde von Torgau aus übrigens kein einziger Kanonenschuss abgefeuert. Doch gab es auch damals schon Bedenkenträger, die die bloße Existenz der Festung kritisch sahen. Der Archidiakon der evangelischen Stadtgemeinde, Johann Christian August Bürger, redete den Torgauern ins (christliche) Gewissen, dass nicht in dem Koloss "Festung" (Veste) das Beständige und Ewigliche zu sehen sei. Der Geistliche zitierte Luther, indem er ausrief: "Ein (wirklich) veste Burg ist unser Gott!". Die Festung Torgau wurde 1889 geschleift und damit das Kapitel "Festung" in unserer Stadt beendet.
Tetzel, der Ablassprediger, welcher mit seinen Leuten in der Zeit der Kritik an der Kirche beim Verhörkern von Ablassbriefen in Jüterbogk festsaß, richtete seinen begehrlichen Blick nach Wittenberg und Torgau. Doch fürchtete er in Wittenberg die Universität und in Torgau den Hof und an die beiden Orten das Licht der lutherischen Reformation.
Hierin begegnen wir unserer heutigen Sichtweise: Wittenberg war das theologische (das universitäre) und Torgau das politische (das fürstenreformatorische und herrschaftliche) Zentrum der lutherischen Reformation.