Reformation als Bewegung und Veränderung in Kirche und Staat
Tagung
Kirche und Staat im 20. und übergehenden 21. Jahrhundert



Torgau/Elbe, 19. und 20. Mai 2017
Ort: Torgau, Schloß Hartenfels, Plenarsaal, Flügel D (Innenhof), 2. Etage




Nachbetrachtungen und Podiumsdiskussion






Die 20. Tagung des Fördervereins Europa Begegnungen e.V. begann mit Informationen über den Stand des Verkauf der Kopie des Gemäldes „Elias und die Baalspriester“, 1545, von Lucas Cranach d.J. auf Holz, Maße: 127,50 x 242,00, durch den Kunstmaler Volker Polenz. Die Bildkopie wurde der Öffentlichkeit wiederum im Rahmen der Tagung präsentiert.
Das Cranach-Bild selbst war seiner Zeit durch Martin Luther gelegentlich der Weihe der Torgauer Schlosskapelle, 1544, angeregt worden. Nach einem Jahr Arbeit in Wittenberg wurde es in der Kapelle des Torgauer Schloss Hartenfels, dem Kanzelkorb direkt gegenüber angebracht. Im Verlaufe der Jahrhunderte gelangte das Gemälde nach Dresden und ist dort bis zum heutigen Tag aufbewahrt und zwar in der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Ungünstige raum-klimatische Verhältnisse in der Torgauer Schlosskapelle lassen es nicht zu, das Bild an originaler Stätte wieder anzubringen.
Die gelungene Kopie von Volker Pohlenz könnte dafür aber schon genutzt werden.

Die Kopie des Gemäldes war im Raum zur Betrachtung aufgestellt. Polenz erklärte, dass er sein Elias-Bild dem Landratsamt Nordsachsen bzw. dem Tourismus Center Torgau (Stadtwerke) verkaufen würde, Preis: 15.000 Euro. Wenn 2017 daran kein Interesse seitens Torgaus gezeigt würde, könnte es auch anderen Städten oder Institutionen überlassen werden.
Dr. Niedersen fasste aus seiner Sicht die derzeitige Lage um das Elias-Bild zusammen und führte aus, dass drei Meinungen hierzu dominieren.
1. Das Elias-Bild (als Kopie) wieder in die Schlosskapelle an die gleiche Stelle, vis a vis vom Kanzelkorb, anzubringen.
2. Die Gemeindekirchenleitung der Ev. Stadtgemeinde Torgau wünscht nicht, es wie einst, 1545, in der Schlosskapelle anzubringen.
3. Die dritte Gruppe ist der Meinung, das Elias-Bild doch wenigstens für Torgau zu erhalten, und es käuflich zu erwerben, um im Schloss Hartenfels einen Raum zu bestimmen (neben der Schlosskapelle), in welchem das Elias-Bild für Betrachter, Gäste und Touristen zugänglich sein sollte. Dr. Niedersen argumentierte, dass Elias-Bild für das Schloss Hartenfels zu erwerben, um dadurch weitere (echte) Informationen dem Besucher mitteilen zu können; auch im Sinne der Torgauer Bewerbung, einmal UNESCO-Weltkulturerbestätte sein zu können.

Ein weiteres Argument für das Elias-Bild sah Dr. Niedersen in Folgendem:
Das Andere zeigt sich darin, dass der Historiker beim Erzählen oder Aufschreiben der Vergangenheit ein bestimmtes Kredo zu beachten hat. Das ist eine wissenschaftliche Vorgabe, die da lautet: „Du sollst dem Historischen und besonders den geschichtlichen Personen mit Respekt begegnen und ein Verständnis für die damalige Situation entwickeln.“ M.a.W., wenn das Alte Testament die Elias-Geschichte so erzählt, muss sie auch heute voll inhaltlich so wieder in Erscheinung treten.

Kurzum: Es ist unser Vorschlag, dass, wenn immer in Torgau die genannten Cranach-Gemälde, wie das Elias-Bild oder die Jagdbilder mit dem Schloss Hartenfels im Original oder in Kopie gezeigt werden, dann sollten stets beide Stücke ( Das Elias-Bild und „Die Hirschjagd“) der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Sie gehören zusammen.

Zur Organisation der Tagung:
Die
Grußworte an die Tagungsteilnehmer sprach der für Kultur Verantwortliche der Stadt Torgau, Dr. Reiniger.
In die
Tagungsmappen wurden neben der Teilnehmerübersicht mit der Adressliste, dem Wissenschafts- bzw. Tätigkeitsprofil der angemeldeten Personen (Teilnehmerzahl um 80, hinzu traten 10 weitere Interessierte) und dem Tagungsprogramm folgende Stücke eingefügt:

- die jeweilige Zusammenfassung der sieben Tagungs-Hauptvorträge;
- „Geschichte reimt sich mitunter“ von Dr. U. Niedersen, ein Ganzseitenartikel in: TZ-Spezial, Torgauer Zeitung, 1.12.2016);
- der Informationstext „Elias und die Baalspriester“ des Kunstmalers Volker Polenz;
- das Inhaltsverzeichnis des geplanten Sammelbandes „Reformation in Kirche und Staat. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“.

Im Tagungssaal (Flügel D) befand sich der Büchertisch, der durch den Veranstalter und einigen Teilnehmern mit geschichtshistorischer Literatur ausgestattet worden war.
Anzumerken ist hierbei, dass es einen reichlich ausgelegten Bücherbestand der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Dresden, bei kostenfreier Mitnahme gab.
Weitere Interessierte wenden sich bitte, um einen Bücherkatalog zwecks kostenloser Buchsendungen zu erhalten, an die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Schützenhofstraße 36, 01129 Dresden, Telefon: 0351 - 853180, Telefax: 0351 - 8531855, E-Mail: info@slpb.smk.sachsen.de

Weiter sei auf die Herausgabe des oben genannten Buches verwiesen, welches der Förderverein Europa Begegnungen e.V. am 9. August 2017, 15.00 Uhr, im Schloss Hartenfels, Flügel D, 2. Etage, präsentieren wird.
Als Veranstalter wollen wir wiederum mitteilen, dass während der Lutherdekade auch der web-Auftritt des Vereins www.vesteburg.com weiter betrieben wird. Auf dieser web-Seite ist auch der web-Auftritt über die „Festung Torgau“ zu finden.

Im Tagungssaal waren, neben dem Bild „Elias und die Baalspriester“, einige Posterstände eingerichtet:

- V D M I Æ - VERBUM DOMINI MANET IN AETERNUM (Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit) gemeißelt in Torgau, 16. Jhdt; Devise Friedrich des Weisen u. des Schmalkaldischen Bundes (Uwe Niedersen und Sieglinde Lawrenz; Malgruppe 725);
- Kirchen und bedeutende Männer Torgaus im 17. und 18. Jhdt. (Förderverein Europa Begegnungen e.V.);
- Auslagen zum Thema „Martin Luther“ (Liesa Riemer, Lutheride aus Torgau)

Es gab folgende Ausstellungen:

- Der Kunstmaler Volker Pohlenz zeigte Bilder zur Reformation, u.a. in Kopie Lucas Cranach d. J., Elias und die Baalspriester, 1545. Wird das Gemälde seinen Platz im Schloss
- Hartenfels finden? (V. Pohlenz).
- Malgruppe 725, Ltg. Sieglinde Lawrenz, Kirchen in Torgau und der Region.

Zum Abschluss der beiden Tagungstage gab es am Sonnabend, 20.5.2017, nachmittags, eine Führung durch die
Sonderausstellung „Torgau, Residenz der Renaissance und Reformation“. In dem dazugehörigen Flyer heißt es:

Die Ausstellung „Torgau. Residenz der Renaissance und Reformation“ bildet die Essenz der seit 2012 gezeigten Sonderpräsentationen „Das WORT im Bild. Biblische Darstellungen an Prunkwaffen“, „Die sächsischen Leibtrabanten“ und „Fürstenhochzeiten in Torgau“. Neues Thema und zugleich ein Höhepunkt ist die Repräsentation am kurfürstlich-sächsischen Hof zu Beginn des 17. Jahrhunderts bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Ein prächtiges Fürstengewand aus Italienischem Goldbrokat, reich verzierte Feuerwaffen, ein mit Gold- und Silberstickerei verzierter Bräutigamsmantel von 1607 sowie ein Trinkspiel in Gestalt einer Kanone führen die glanzvolle Regierungszeit des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (1585/ 1611-1656) vor Augen.
Als Highlight werden erstmals die im Grünen Gewölbe erhaltenen Werke Torgauer Goldschmiede in der Stadt ihrer Entstehung präsentiert. Die zauberhafte „Torgauer Apotheke“, ein indisches Perlmutterkästchen, gilt als Paradebeispiel für die Veredlung fremdartiger Arbeiten durch europäische Goldschmiede. Fantasievoll wurden auch andere exotische Materialien in kunstvolle Objekte umgeformt. So bildet ein Nautilusgehäuse den Rumpf eines Tafelschiffes und Korallenäste bekrönen die Häupter eines vornehmen Paares.
Die erlesene Auswahl an Schätzen aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden lässt die Pracht des kurfürstlichen Hofes im architektonisch und reformationsgeschichtlich bedeutenden Schloss Hartenfels in Torgau erneut lebendig werden.


Die Zusammenfassungen der Vorträge waren bereits in den Tagungsmappen mit enthalten,
so dass folgend die Inhalte der Podiumsdiskussion vorgelegt werden.


Die Podiumsdiskussion
(Bearbeitung Uwe Niedersen)


Religiosität und bundesdeutsche Gesellschaft

Prof. A. Lexutt (Gießen) führte auf eine entsprechende Frage aus, dass auch in der bundesdeutschen Gesellschaft sehr wohl Religiosität herrsche und eine Sehnsucht nach Antwort auf letzte Fragen, auch wenn dafür andere Bezeichnungen verwendet würden und diese Religiosität weder in explizit christlicher, geschweige denn kirchlicher Sozialisation ausgedrückt und gelebt werde. Insofern sei es für Kirche und Theologie wichtig, die Fragen der Menschen wahr- und ernstzunehmen und auf das religiöse Element darin zu befragen, ohne zugleich mit offensichtlich religiösen Antworten zu erschlagen. Insbesondere die Schule sei dazu ein wichtiger Raum.

Ganz gewiss sei es richtig, dass sich das Christentum in der Gegenwart und für die Zukunft wandeln müsse. Die spezifisch christlichen Pointen sollen dabei aber gerade nicht verschliffen werden. Gefordert sei ein reflektiertes Christentum, das in dieser kritischen Reflexion in ständigem Dialog mit sich selbst, aber auch mit äußeren Anfragen von Religionen, Ideologien und Überzeugungen aller Art tritt. Die dazu nötige Toleranz könne sich dabei von dem Gedanken der tolerantia Dei (das Erdulden Gottes) leiten lassen, die mit Luther neu zu entdecken wäre. Dass die Theologie politisch sein müsse, gewissermaßen nicht die Wahl habe, es zu sein oder nicht zu sein, sei spätestens darin gegründet, dass mit Jesus Christus Gott in die Welt kam und sich die Nachfolger Christi damit in ein Verhältnis zu dieser Welt setzen müssten.

Dr. M. Treu (Lutherstadt Wittenberg) mit einer Anmerkung zu „Ökonomie (Vermarktung) und Kirchenfesten“
Die Aufregung um Luthersocke und Co. ist unnötig und scheinheilig. Unnötig weil es der Markt richtet, scheinheilig, weil die Kritiker in der Regel in durch Staat und Gesellschaft gesicherten Existenzen leben. Die Aufmerksamkeitsökonomie ist seitens der Kirche oft noch nicht in allen Details bedacht worden. Ein Gegenbeispiel allerdings ist die Vermarktung des Kirchentags in Berlin und Wittenberg. Will man mit den Massenmedien größere Reichweiten erzielen, muss man deren Regeln folgen. Man muss nicht mitspielen, aber wenn, muss man nehmen, was ausgeteilt wird.


Zum politischen Auftrag der Kirche

Prof. A. Lexutt (Gießen) wurde die Frage gestellt, ob die verschwindend geringe Bedeutung von Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung nicht von vornherein dagegenspreche, einen öffentlichen Auftrag der Kirche überhaupt anzustreben.
Es ist eine Differenzierung zwischen römisch-katholischer Repräsentanz in den Medien und solcher evangelischer Amtsträger und Amtsträgerinnen festzustellen. Dies liege an der Universalität der römisch-katholischen Kirche, die den Äußerungen und Handlungen des römischen Bischofs einen entschiedenen Vorteil und größere Aufmerksamkeit garantiere. Das Interesse von Angehörigen anderer kirchlicher Gemeinschaften (es wird das Beispiel der autokephalen georgisch-orthodoxen Kirche benannt), ihre Kirche möge sich politisch aktiv engagieren, zeige wie dringend ein öffentliches „Zeugnis“ der Kirche gerade in den Gesellschaften ist, die lange unter Unterdrückung und fehlender Autonomie gelitten haben. Letztlich gelingen könne aber die Wahrnehmung eines solchen Auftrags nur durch das Engagement Einzelner, wofür zahlreiche bundesdeutsche Politiker und Politikerinnen ein Beispiel lieferten, die parteipolitisch agierten und sich dort bewusst mit ihrem christlichen Gewissen einbrächten.

Prof. W. Patzelt (Dresden) hatte zu der gelegentlich auftauchenden Behauptung von einer „Komfortzone“ zwischen Kirche und Staat angemerkt: Sicher müsse man hierbei stärker differenzieren. Die Rede war aber von den Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, wo zumal protestantische Kirchenführer immer wieder herausgehobene politische Positionen erreichen – was ohne die Pflege eines recht konsensuellen Näheverhältnisses schwerlich gelänge.


Kirche und deutsch-deutsche Teilung

Prof. A. Lexutt (Gießen) merkte zu der Nachfrage, ob die Westkirche in der Zeit der deutsch-deutschen Teilung möglicherweise zu wenig politisch gewesen sei an, dass die Kirche in Westdeutschland beispielsweise anlässlich der Wiederbewaffnung und der atomaren Rüstung schon früh sehr deutlich Position bezogen hat – und zwar alles andere als eine konservative –, durch die Ostdenkschrift politisch sogar wegweisend geworden ist und etwa in Fragen der Sexualethik klare und zeitgemäße Orientierung gegeben hat. Bei der Frauenordination indes und auch im Blick auf die intrakonfessionelle Ökumene (Leuenberger Konkordie 1973) habe sie ein überraschend unbewegliches und langsames Vorwärtsdenken an den Tag gelegt. Auch im Blick auf die europäische Einigung war sie lange zurückhaltend, um die Brüder und Schwestern in Ostdeutschland nicht zu isolieren und in Schwierigkeiten zu bringen. Es zeige sich, wie schwierig es insgesamt ist, den schmalen Grat zwischen Tradition und Innovation zu gehen. Hier habe es die römisch-katholische Kirche deutlich leichter, weil sie ein anderes Verhältnis zur Tradition habe, die sie auf einer Ebene mit der Autorität der Heiligen Schrift sieht.
Das von Prof. Kroll definierte „konservative“ Element (siehe Vortrag von F.L. Kroll, in diesem Buch) sei im Protestantismus klar erkennbar im Freiheitsbegriff sowie im sozialen Auftrag. Die „Nation“ sei trotz vieler gegenläufiger Momente in der Kirchengeschichte kein Wert für den Protestantismus, weil Gottes Reich universal gedacht sei. Im 19. Jahrhundert – etwa bei einer Gestalt wie Johann Hinrich Wichern – seien alle drei Momente zusammen gekommen.

Prof. W. Krötke (Berlin) äußerte sich (nach Anfrage), ob Personen, die 1989 am gesellschaftlichen Umbruch beteiligt waren, noch weiter in der Politik eine Rolle gespielt haben. Viele, die sich 1989 politisch engagiert haben, sind in ihren Beruf zurück gekehrt. Andere haben Karriere gemacht. Angela Merkel und Joachim Gauck sind da das beste Beispiel. Aber auch aus meinem persönlichen Umfeld in der Kirchlichen Hochschule von Ostberlin (“Sprachenkonvikt”) waren und sind viele in der Politik aktiv. Der viel zu früh verstorbene Kollege Wolfgang Ullmann war Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett Modrow. Markus Meckel war Außenminister der ersten frei gewählten DDR-Regierung; Richard Schröder Fraktionsvorsitzender der SPD. Stephan Steinlein ist gerade Chef des Bundespräsidialamtes geworden, nachdem ein anderer Konviktualer – David Gill – aus diesem Amt ausgeschieden ist. Thomas Krüger ist seit Jahren Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Ich könnte noch viele nennen, deren Stimme bis heute in der Politik gewichtig ist.

Dr. M. Treu (Lutherstadt Wittenberg) Die Behandlung der Geschichte der DDR krankt nach wie vor an einer zu geringen Differenzierung in den Urteilen. Die DDR war kein monolithischer Block, das wäre ihre eigene Binnensicht und wie alle ihre Propaganda gelogen. Vielmehr muss räumlich (Berlin, Großstadt, Kleinstadt, Dorf) und zeitlich (50er, 60er, 70er, 80er Jahre) unterschieden werden. So wird man die Bedeutung der Existenz der staatlich alimentierten theologischen Fakultäten nicht gering schätzen dürfen.
Das Lutherjubiläum von 1983 kann zurecht als Anfang vom Ende der DDR verstanden werden. Eine soziologisch offene Frage ist, ob das kirchliche Personal, zumal in leitenden Stellungen, eine gewisse Affinität zu sozialdemokratisch/sozialistischen Positionen besaß. Der Ost-Ableger der SPD wurde, mit einer Ausnahme, von Pfarrern gegründet.


Zur „Entweltlichung“ der Kirche

Prof. W. Patzelt (Dresden) äußerte sich zu dem Hinweis, ob es nicht an der Zeit sei, das überkommene Staat/Kirche- Verhältnis in Frage zu stellen.
Ja gewiss, zumal die – historisch kontingenten – „para-staatlichen“ Kirchenstrukturen ohnehin mehr und mehr fassadenartig werden. Es wird ohnehin zum weiteren Schrumpfen der Kirchen kommen, im Zusammenhang damit wohl auch zur – etwa von Benedikt XVI. angeratenen – „Entweltlichung“ der Kirche. Das wird den Raum öffnen für neue geistliche Bewegungen sowie für eine Rückkehr zu jenen vereinsartigen Strukturen, welche die frühe Christenheit kennzeichneten und denen man im protestantischen Bereich ohnehin näher ist als im katholischen.

Würde denn tatsächlich eine „Entweltlichung“ gewünscht?
Ob man diese wünscht ist nebensächlich, insofern sie aufgrund realer Entwicklungen ohnehin kommen wird. Verstandesgeleitet sollte man sich dann auch bereitwillig auf sie einlassen.
Das Gefühl kann einem aber auch anderes sagen – etwa: dass es schon traurig ist, wenn die Schönheit der europäischen Form des Christentums (Kirchenbauten, Kirchenmusik, Liturgie …) schwindet. Doch zumal der Katholizismus mit Liturgien vor Barockkulissen zu sehr mit einer versinkenden Lebenswelt verbunden ist, als dass man sich weigern dürfte, diese Ausprägungsform des Christentums loszulassen – wenngleich schweren Herzens. Doch die Kirche wandelte sich nun einmal bei ihrem Gang durch die so unterschiedlichen Zeiten, und das Wesentliche an ihr ist nun einmal nicht ihre je konkrete historisch-kulturelle Gestalt.

Prof. W. Patzelt (Dresden) erhielt zwei weitere Fragen:
Ist die Rede von „dem“ Christentum nicht zu undifferenziert?
Ja, ebenso wie die Rede von „dem“ Islam. Doch wenn es auf engem Raum sehr Komplexes in den Grundzügen seiner Zusammenhänge darzustellen gilt, muss man eben vergröbern. Wichtig ist dann nur, dass die hervorgehobenen Züge des Gesamtbildes stimmen.

Ist die Parallelstellung von Moses, Jesus und Mohammed wirklich angebracht?
Sofern nur auf die Persönlichkeiten der drei sowie auf den Umgang mit jenen Texten geblickt wird, die religionsstifterisch mit ihnen in Verbindung stehen, ist das ein völlig treffender Einwand. Doch gleich ist jeweils, dass von ihnen die Gemeinschaft der Glaubenden, der Bund der Regierten mit Gott – und nicht mit ihrer Regierung – als für Menschen wesentlich vor Augen gestellt wurde. Das aber verändert das Verhältnis von Religion und Politik aufs gründlichste, zumal im Vergleich zu den Kulturen Sumers und Ägyptens.

Dr. M. Treu (Lutherstadt Wittenberg) ergänzte einige Aussagen von W. Patzelt wie folgt:
Man kann die Sonderrolle Europas in Fragen der Religiosität gar nicht krass genug herausstreichen. Das gilt nicht für das orthodoxe Europa. Von Griechenland bis Russland ist die Religion allgegenwärtig, öffentlich wie privat.
Gebildete Vertreter des Islams kennen Luther in folgenden Zusammenhängen: Er hat sich für den Erstdruck des Korans (Basel 1539 lateinisch) eingesetzt. Seine Abschaffung der Bilder und des Heiligenkults ähnelt den Reformen des Wahabitentums. Er war ein glühender Antisemit. Gleichzeitig lag seine Tragik darin, dass er nicht dem reinen Islam der arabischen Welt begegnet ist, sondern zeitbedingt dem degenerierten der Türken.
Gerade gebildete arabische Muslime sind der Überzeugung, dass die Übernahme der Macht durch die Muslime in Europa nur eine Frage der Zeit in näherer Zukunft sei. Begründet wird dies mit der höheren Geburtenrate und der Degeneration der Europäer, die sich in Religionslosigkeit und sexueller Perversion verlieren. Dies alles sind meine (M. Treu) Erkenntnisse aus Gesprächen über Jahre hinweg in Wittenberg.

Dr. M. Treu (Lutherstadt Wittenberg) zum Schicksalsjahr 1525
1525 ist ein Schicksalsjahr in Luthers Reformation. Luther verliert die Bauern als Anhänger, wobei unklar bleibt, wie weit sie ursprünglich seine Anhänger waren oder ob es sich um ein produktives Missverständnis handelte. Ein indirektes Ergebnis der Reformation besteht darin, dass nach dem Abklingen der Gewaltexzesse der Fürsten, die Bauern zunehmend den Rechtsweg beschreiten und Konflikte vor das Reichskammergericht bringen.

Die Gründung des Kirchenbundes in der Weimarer Republik geschah so: Aus dem Lutherhaus wurde der Tisch aus der Lutherstube geholt und in der Schlosskirche neben dem Grab Luthers aufgestellt. Darauf wurde die Gründungsurkunde unterzeichnet. Die Zeremonie verstand sich als Entgegenkommen der borussisch-unierten Mehrheit der Kirchen gegenüber den konfessionellen Lutheranern. Abgesehen von dem barbarischen Verstoß des Denkmalschutzes wird der Gegensatz zwischen unierten und lutherischen Kirchen heute kaum mehr verstanden, bot aber nach 1918 immer noch Anlass zu Konflikten.
In den Zusammenhang gehört auch der Hinweis, dass die Rede von der Ecclesia Semper reformanda nichts mit Luther zu tun hat, sondern aus dem Kalvinismus des frühen 20. Jahrhunderts stammt.