Reformation als Bewegung und Veränderung in Kirche und Staat
Tagung
Kirche und Staat im 17. und 18. Jahrhundert



Torgau/Elbe, 16. und 17. Oktober 2015,
Ort: Torgau, Schloß Hartenfels, Plenarsaal, Flügel D (Innenhof), 2. Etage




Zusammenfassung der Tagungsvorträge




Dr. Martin Treu
Welthistorische Momente – Die Wende in Torgau im Oktober 1530

Der Vortrag beleuchtet anhand eines spezifischen Vorgangs die prinzipielle Signifikanz des Zusammenwirkens wie des Konflikts zwischen den Wittenberger Reformatoren und dem sächsischen Kurfürsten und seinen Räten in Torgau. Vom 26. bis 28. Oktober 1530 fand im Nachgang zum Augsburger Reichstag eine Beratung in Torgau statt, in deren Ergebnis Luther ein wenn auch eingeschränktes Widerstandsrecht der Landesherren gegenüber dem Kaiser akzeptierte, falls sie wegen des Glaubens angegriffen werden sollten. Genau dies hatte der Wittenberger noch im März kategorisch abgelehnt.
War Luther sich selbst untreu geworden? Hatten ihn die Fürsten überrumpelt? Es ist zu zeigen, unter welchen Voraussetzungen die in der Forschung wenig beachteten Gespräche zustande kamen und welche gewichtigen historischen Folgen sie haben sollten, so dass auch ihre Bedeutung für das Selbstverständnis der Torgauer Stadtgeschichtsschreibung klarer erscheint.


Prof. Dr. Reiner Groß
Von der Zweiten Reformation zum Westfälischen Frieden – Kursachsen zwischen Union und Liga

Das im Ergebnis des Schmalkaldischen Krieges 1547 neu gebildete albertinische Kurfürstentum Sachsen wurde nach dem Augsburger Reichstag von 1555 die protestantische Führungsmacht im Reich. Das bestimmte maßgeblich die Innen- und Außenpolitik der sächsischen Kurfürsten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis weit in das 17. Jahrhundert hinein. Dabei haben die Kurfürsten August (1553–1586), Christian I. (1586–1591), Christian II. (1591–1611) und Johann Georg I. (1611–1656) auf die geistigen und politischen Ereignisse ihrer Zeit unterschiedlich reagiert. Kurfürst August schritt energisch gegen calvinistische Strömungen in seinem Lande ein und festigte das orthodoxe Luthertum. Die sogenannte Zweite Reformation unter Christian I. blieb eine Episode. Bewusst unterstützten Christian II. und Johann Georg I. nicht die reformierten Reichsstände unter Führung der Kurpfalz, und man verschloss sich auch allen gegenreformatorischen Bestrebungen im Reich. Der 1608 entstehenden Union als Bündnis evangelischer Reichsstände blieb Kursachsen ebenso fern, wie es der 1609 entstehenden katholischen Liga nicht beitrat. Damit stand Kursachsen zwischen den beiden konfessionell geprägten politischen Bündnissen, stellte sich in Reichsangelegenheiten meist auf die Seite des Kaisers.
In der Jülich-Klevischen Erbfolgeangelegenheit konnten die kursächsischen Ansprüche nicht durchgesetzt werden. Daran scheiterte Kurfürst Christian II. ebenso wie sein zwei Jahre jüngerer Bruder Johann Georg I., der 1611 die Regentschaft antrat. Er war dann die Person, die die kursächsische Politik vor, während und nach dem Dreißigjährigen Krieg verkörperte. Dabei konnte nach 1618 niemand voraussagen, welche Partei er ergreifen und welche Entscheidung er treffen würde. So kennt ihn die Geschichte als einen Landesfürsten, der vor der Wahl des Habsburgers Matthias zum deutschen König das indirekte Angebot der Kaiserkrone ablehnte, ebenso 1618 das Angebot der böhmischen Königskrone, 1620 die protestantischen Reichsstände in der böhmischen Sache verriet und für den Kaiser in den Krieg zog, dann 1631 den Kaiser und 1635 die Schweden verließ.
Nach dem Beginn der militärischen Aktionen in Böhmen 1618 blieb Kursachsen noch zwei Jahre neutral, dann trat man im Februar 1620 unter Zusage des Erwerbs der Lausitzen auf die Seite des Kaisers und fiel im August 1620 mit Söldnertruppen in die Lausitzen ein, die im Dresdner Akkord vom 21. Februar 1621 als Nebenländer der böhmischen Krone an Sachsen kamen. Danach blieb Kursachsen in den Jahren des Niedersächsisch-Dänischen Krieges bis 1630 neutral. Dann trat man auf die Seite des schwedisch-protestantischen Lagers, schloss im September 1631 ein Bündnis mit dem Schwedenkönig und kämpfte in den Schlachten von Breitenfeld 1631 und Lützen 1632 auf der Seite der Union. Danach bestand das Ziel der kursächsischen Politik darin, die Kriegshandlungen zu beenden und friedliche Zustände im Reich zu erlangen. Dazu begannen im Mai 1634 Verhandlungen zwischen dem Kaiser und Kursachsen, die letztlich nach langwierigen Auseinandersetzungen des sächsischen Kurfürsten mit seinen Landständen zum Prager Frieden vom 30. Mai 1635 führten. Mit der Aufforderung an alle Reichsstände, sich diesem Frieden anzuschließen, wurde Kursachsen zum Signalgeber für die Wiederherstellung des Friedens im Reich.
Dieser Prager Frieden brachte Kursachsen aber mehr Nachteile als Vorteile. Das Land wurde nach 1635 zu einem der Hauptkriegsschauplätze mit vielfachen Plünderungen, Verwüstungen und Drangsalierungen durch die Kriegsparteien. Kursachsen gehört mit zu den am ärgsten durch die Kriegswirren heimgesuchten Gebiete des Reiches. Nicht der Waffenstillstand von Kötzschenbroda von 1646, sondern erst der Westfälische Frieden von 1648 stellte die Waffenruhe her. Aber erst 1650 zogen die letzten schwedischen Truppen ab. Danach wurden dann endlich überall Friedensdankfeste abgehalten.


Prof. Dr. Winfried Müller
Das Reformationsjubiläum von 1617 und die Etablierung der lutherischen Jubiläumskultur

Wenn 2017 das 500. Reformationsjubiläum begangen wird, wird vielfach kaum bewusst sein, dass nicht nur die Reformation ihre Geschichte hat, sondern dass das auch für die Zeitkonstruktion des historischen Jubiläums gilt. Hier setzt der Vortrag an, indem er zunächst das wesentlich von Kursachsen forcierte Reformationsjubiläum von 1617 als zentralen Entwicklungsschritt der protestantischen Erinnerungskultur in den Blick nimmt. In einem zweiten Schritt soll u.a. unter Rekurs auf das Heilige Jahr der katholischen Kirche danach gefragt werden, wie sich die Idee, geschichtliche Ereignisse in Intervallen von 50 oder 100 Jahren zu feiern, seit dem späten Mittelalter allmählich entwickelt hat und wie sie sich das historische Jubiläum seit 1617 in fast allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens als Erinnerungsformat durchgesetzt hat.


Prof. Dr. Athina Lexutt
Ein Kern und mehrere Früchte – Die nachreformatorische Theologie zwischen Freiheit und Anpassung

Die Theologie Martin Luthers hat ihren Kern in der vielfachen Spannung, in welcher der Mensch notwendig existiert. Diese Spannung, die man an den Begriffspaaren Schöpfer und Geschöpf, Geschöpf und Mitgeschöpf, Gesetz und Evangelium, zugleich gerecht und Sünder, Knechtschaft und Freiheit, Person und Werk, Stand und Amt, Schrift und Bekenntnis festmachen kann und die Luther durch sein ganzes Theologie-Treiben durchgehalten hat, wollen ausgehalten und gestaltet sein. Ein mühsames Unterfangen, das schon in der Reformationszeit selbst nicht immer erfüllt, vielleicht sogar nicht einmal richtig verstanden wurde. Es wird aber nahezu unmöglich in einer Zeit, die nach klaren und eindeutigen Antworten suchte, die durch den Dreißigjährigen Krieg und die Umwälzungen in Staat, Gesellschaft und Geistesgeschichte erschüttert und herausgefordert war und Aporien oder eine eher fragende als zu letztgültigen Schlüssen kommende Theologie nicht gut gebrauchen konnte. Die drei großen Bewegungen der Zeit, die Orthodoxie, der Pietismus und die theologische Aufklärung, versuchten auf je eigene Weise, einen Weg aus der spannungsvollen Theologie Luthers heraus zu finden: durch eine klare und eindeutige Lehre (Orthodoxie) oder ein gottgefälliges Leben (Pietismus) oder eine grundsätzliche Infragestellung der Bedeutung von Religion und Theologie insgesamt (Aufklärung). Diese Wege heraus werden im Vortrag nachgezeichnet, um zum Schluss die Frage zu beantworten, ob die Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts in ihrer Entfernung von Luthers Kern solche Früchte hervorgebracht hat, die im Gespräch mit diesem Kern heute für die Theologie bereichernd sein können.


Prof. Dr. Rolf Decot
Konfessionsstaat - Mehrkonfessionalität. Von der Religion zum Recht als Staatsgrundlage.

Behandelt werden politische Auswirkungen der Reformation. Antike Vorstellungen von der Religion als Wertegrundlage eines Gemeinwesens, erlangten im ottonischen „Reichskirchsystem“ eine besondere Ausformungen: Kirchenvertreter erhielten als Reichsbischöfe oder Reichsäbte zunehmend politische Aufgaben übertragen. Um 1500 waren die Hälfte der Kur-fürsten Geistliche und im Fürstenrat stellten sie die Mehrheit. Die schon im Spätmittelalter bestehende Tendenz, die Verfügungsgewalt über die Kirche und ihre Güter vom Reich auf die Landesterritorien („landesherrliches Kirchenregiment“) zu verlagern, erhielt durch die Entstehung unterschiedlicher Konfessionen in verschiedenen Ländern einen neuen Impuls. Zur Zeit des Augsburger Religionsfriedens von 1555 waren bereits weite Teile der Reichkirche unter der Kontrolle evangelischer Landesherrn. Zwar wurde damals der Status quo akzeptiert, aber um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, nahm Ferdinand I. das „reservatum ecclesiasticum“ (Geistlicher Vorbehalt) in den Reichsabschied auf. Auf den folgenden Reichstagen forderten die evangelischen Landesherren stetig, aber letztlich vergeblich, die „Freistellung“ von dieser Bestimmung. Der Streit führte zu einer allmählichen Lähmung der Reichsorgane. Dort, wo ihre Macht ausreichte, eigneten Fürsten sich weitere Bestände der Reichkirche an. Als der Dreißigjährige Krieg in seiner ersten Phase für den Kaiser positiv verlief, dekretierte er das „Restitutionsedikt“ von 1629, das die Zustände von 1555 wiederherstellen wollte. Das Eingreifen auswärtiger Mächte - Schweden und Frankreich - verhinderten die Ausführung. Im Westfälischen Frieden wurde dann in Bezug auf die Kirchengüter die Situation von 1624 (Normaljahr) festgeschrieben. Das „ius reformandi“ (Bestimmung der Konfession durch den Landesherrn) war damit suspendiert. Durch Heirat oder Erbfolge kam es in wenigen Jahrzehnten zu konfessionellen Minderheiten in fast allen Reichsterritorien. Da theologische Lösungen (z.B. Wiederherstellung der Kircheneinheit, religiöse Toleranz) nicht erreichbar schienen, fand man allmählich im Recht eine konfessionsübergreifende Wertegrundlage der Staaten.


Prof. Dr. Armin Kohnle
Luthers „Staatsverständnis“ und die Herausbildung des sächsischen Konfessionsstaats in der Frühen Neuzeit.

Das Kirche-Staats-Verhältnis baute im frühneuzeitlichen lutherischen Musterstaat Kursachsen auf der Theologie Martin Luthers auf, transformierte Luthers Anliegen aber in Richtung eines lutherischen „Konfessionsstaats“. Der Vortrag setzt bei der Frage ein, was Luther selbst unter einem „Staat“ verstand und wie er das Verhältnis von Kirche und Staat theologisch reflektierte und definierte. Dabei kommt der Fürst als entscheidender Faktor im reformatorischen Prozess in den Blick. Das Landesfürstentum war für das Überleben der Reformation ausschlaggebend. Luther selbst wollte zwar kein Staatskirchentum in dem Sinne, wie es sich später herausbildete, durch die Figur des Landesherrn als „Notbischof“ leistete er der späteren Entwicklung aber ungewollten Vorschub. Im zweiten Teil des Vortrags geht es um die tatsächliche Entwicklung im wettinischen Kurfürstentum Sachsen. Der lutherische Konfessionsstaat wird zunächst unter der Frage der Bekenntniseinheit und in einem weiteren Durchgang hinsichtlich seiner Strukturen und Organisationsformen untersucht. Dabei ergibt sich, dass die tatsächliche Entwicklung deutlich über das hinausging, was Luther ursprünglich gewollt hatte. Zuletzt wird der allmähliche Verfall des lutherischen Konfessionsstaates seit dem 18. Jahrhundert thematisiert.


Prof. Dr. Johannes Burkhardt
Religion und Politik im Dreißigjährigen Krieg und Westfälischen Frieden. Die deutsche und die europäische Dimension.

Worum ging es eigentlich im Dreißigjährigen Krieg? Wie konnten Menschen in Deutschland und Europa in eine solche Kriegskatastrophe geraten? Die alten Geschichten vom Religionskrieg sind zu einseitig und halten nicht zuletzt in Blick auf die sächsische Position einem historischen Faktencheck nicht stand. Aber auch die politischen Lesarten haben sich als sehr komplex erwiesen und geben im Einzelnen noch keine durchgehende Linie zu erkennen.
Der Westfälische Frieden kann hier Klarheit bringen. Präsentation und Regelungen der Verträge von Münster und Osnabrück im Oktober 1648 geben zu erkennen, worum es in diesem Krieg der Kriege gegangen war. In europäischer Perspektive begründeten die Friedensschlüsse das Staatensystem (in der internationalen Forschung „Westphalian System“), ein staatliches Nebeneinander gegen viel weitergreifendere Kriegsziele. Für die deutsche Geschichte hinwiederum etablierte sich endgültig das föderale politische System aus einzelstaatlichen Ländern und der Gesamtstaatlichkeit der Reichsorgane, die in diesem Verfassungskrieg von beiden Seiten und durch auswärtige Interventionen gefährdet gewesen war. Was die zeit- und teilweise hineinspielende konfessionelle Militanz anging, so gelang es auf eben dieser föderalen Grundlage, mit zwei innovativen Ergänzungen zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 Religionskriege in Deutschland für immer auszuschließen.
Die sächsische Geschichte muss auch in diesem größeren und nachwirkenden Rahmen gesehen werden. Aufgrund der vorliegenden Forschung und neuer Entdeckungen bleibt zu diskutieren, inwieweit sie ihn sogar entscheidend mitgestaltet hat.